Connection Spirit April 2008
Alles ist
Unschuld –
wenn Du es sehen und erkennen kannst …
Die Bilder der Hamburger Satsanglehrerin Astamaya wirken stark auf mich. Sie erinnern mich an etwas Unbeschreibliches in mir
selbst. Dasselbe spüre ich, wenn ich in einen Kinderwagen schaue und darin zwei in großer Zufriedenheit ruhende, selige Augen entdecke. Beides strahlt für mich eine kraftvolle Sanftmut, die sich
selbst absolut zugewandt und deshalb (noch) vollkommen selbstvergessen ist, aus. Vielleicht ist es das, was das Wort Unschuld nur sehr unzureichend beschreibt. - Ein Sonntagmorgen, ein großes
Frühstück, was liegt da näher, als der Unschuld auf die Spur zu kommen …? Die Fragen stellte Daniel Herbst
Daniel Herbst: Sind wir alle unschuldig?
Astamaya: Die Unschuld ist meistens verdeckt. Es ist fast so, als ob sich
etwas über uns gelegt hätte. Ein Schmerzvirus, der uns Angst macht und uns Aggressivität oder Traurigkeit erleben lässt.
Hält uns der Schmerz davon ab, unschuldig zu sein?
Nein. Der Schmerz ist das Ergebnis der Identifikation mit dir als Person.
Unschuld ist unsere wahre Natur. Wir können nicht anders, als unschuldig zu sein. Und doch kann die Unschuld bis zur Unkenntlichkeit entstellt sein. Z.B. ist George W. Bush nicht gerade der
Prototyp des Unschuldslamms …
Was ist Unschuld? Oder besser gefragt: Wann mache ich mich schuldig?
Wenn das „Ich“ in mir auftaucht, werde ich zu jemandem, der sich schuldig fühlen –
und damit auch schuldig machen kann. Zusammen mit dem „Ich“ kommt das „Du“. Mir erscheint eine Welt, die mir gegenübersteht. Ich erfahre die Trennung und das ist der Schmerz. Und wenn ich mich
erst einmal getrennt fühle, dann kann ich das Undenkbare denken, mich schuldig fühlen und wie jemand handeln, der schuldig ist. In meiner Hilflosigkeit fällt mir nichts Besseres ein, als
nachzuahmen, was mir vorgelebt wird. Ein ewiger Kreislauf der Trennung.
Und doch ist der ganze Prozess unschuldig?!
Ja. Und er ist notwendig, weil wir nur durch den Prozess erkennen können. Ohne
Trennung wären wir vor uns selbst nicht aufgetaucht – ein Sinnbild dafür ist das Paradies. Im Paradies sind wir uns unserer selbst nicht bewusst. Wir leben in der Einheit. Da gibt es nichts
anderes. Durch die Trennung wird der Bewusstwerdungsprozess erst ermöglicht. Ohne Trennung keine Bewusstwerdung. Wir mussten aus der Unschuld fallen um zu erkennen, dass wir wirklich unschuldig
sind. Und erst wenn wir das zweifelsfrei erkannt haben, werden wir dementsprechend handeln.
Also mache ich mich in dem Moment schuldig wo ich nicht erkenne, dass ich unschuldig
bin?
Ja, das würde ich so sagen. Wenn du nicht
erkennst, wer du bist, kannst du Dinge tun, die du nicht tun könntest, wenn du erkennen würdest, dass du unschuldig bist. Wenn du dich entdeckt hast, kannst du keine Menschen – und auch keine
Tiere – mehr ins KZ sperren. Dann kannst du nicht mehr vergewaltigen und unterdrücken. Kriege, Folter und Ausbeutung sind nur möglich, weil der Mensch sich noch nicht entdeckt hat. Deshalb
demütigt er sich selbst unentwegt. Ein Mensch, der ein anders Wesen quält, quält immer auch sich selbst.
Meinetwegen. Aber jemand, der andere unterdrückt, muss sich nicht bewusst sein, dass er sich
letztendlich selbst damit quält. Dann quält er, ohne etwas davon mitzubekommen. Vielleicht denkt er sich ganz im Gegenteil: Ich bin wunderbar. Ich habe die Macht, andere zu demütigen und zu
quälen.
Das kann sein. Dabei hat der Unterdrücker
vor nichts mehr Angst als selbst unterdrückt zu werden. Statt sich der Angst vor dem eigenen Abgrund bewusst zu werden, projiziert er ihn nach Außen und handelt dementsprechend uneinsichtig. Er
muss also „böse“ bleiben, um nicht unter der Last der Schuld zusammen zu brechen. Das ist ein furchtbares Schicksal!
Jetzt kommen wir an den Punkt der relativen Schuld. An diesem Punkt erkennst du nicht, dass
alles, was du anderen antust, dir selbst entspringt. Wir sind ganz weit draußen aus dem Paradies, im Krieg mit uns selbst und anderen. Wie finde ich vom Krieg zurück in die Unschuld? George W.
Bush wird wohl kaum zu dir in den Satsang kommen …
Ob
wir wollen oder nicht: Erst einmal geht es darum, sich zu verirren. Schließlich leben wir in der Polarität! Darin muss ich nicht nur ertragen, was ich mir selber antue. Darin tue ich anderen
etwas an und darin wird mir etwas angetan. Es scheint hier nicht gerade gerecht zuzugehen. Wenn du es wie George W. Bush machen willst, dann klage an und spreche schuldig. Oder erinnere dich
daran, wer du wirklich bist.
Wenn ich mir deine Bilder ansehe, verstehe ich etwas, dass ich in dieser Welt nicht immer sehen kann.
Dann wird mir die Welt wesenhaft. Das „in-sich-tragen“ ist für mich ein perfektes Bild für die Unschuld.
Da sind ein Mann und eine Frau. Die Vereinigung. Der Ausdruck ist das Kind. Es ist im Grunde genommen immer wieder ein Schenken und
Weitergeben von sich selbst in Form des Neuen, des Unbekannten. Es geht immer wieder um das Geborenwerden. Die Freude zu sein gibt sich weiter und wird in jedem Fall empfangen. Das Leben fragt
nicht danach, ob wir empfangen werden wollen. Wir, so wie wir uns kennen, kommen ja auch erst sehr viel später. Alles will erst einmal sein. Und nach einer Weile kommen wir ins Spiel. Dann ist da
plötzlich jemand, der glaubt, dass er das, was ist, ablehnen kann.
Wie kann ich den Zugang zu dem ursprünglichen Gefühl des „Seien-wollens“
wiederfinden?
Indem du aufhörst, dich für ein
vorgestelltes Bild von dir selbst zu verbiegen. Du bist schon einmalig – ein kosmisches Unikat. Wenn du das zweifelsfrei erkannt hast, ist da niemand mehr, der etwas anderes darstellen will. Und
damit hört jede Form der Selbstverleugnung auf. Das Leben hat dich ausgedrückt. Du lebst! Das, was in meinen Bildern zu Ausdruck kommt, ist schon das Eine. Du bist aus einer vollkommenen
Verschmelzung hervorgegangen. Auch wenn sie von deinen Eltern auf der physischen Ebene nur mehr oder weniger bewusst vollzogen worden ist. Das Kind ist die Sichtbarwerdung der Freude am Sein. Und
die Freude selbst ist absolut unschuldig.
Letztendlich besteht das Leiden darin, dass wir uns eben doch nicht unschuldig fühlen. Und ganz sicher
leben wir in einer Welt, die weit weg von einem Zustand ist, der unschuldig genannt werden kann. Wie komme ich zur Unschuld zurück?
Indem du dir selbst vergibst. Erkenne, dass alles so geschehen musste, wie es
geschehen ist. Lege dich nicht mehr mit deiner Vergangenheit an. Es heißt: Die Zeit heilt alle Wunden. Tatsächlich ist es eher so, dass du irgendwann vergisst, sie immer wieder aufzukratzen.
Statt auf das Vergessen zu warten, kannst du dich den Wunden ganz unmittelbar zuwenden. Und das geht immer nur jetzt.
In mir selbst war so viel Schmerz. Ich habe mich so unendlich einsam gefühlt, traurig und verlassen. Aus lauter Verzweiflung habe ich mir mit 17 Jahren Ouspenskys „Der Dritte Kanon des Denkens“
gekauft. Da ging es um 24 Dimensionen … Nicht, dass ich da auch nur irgendetwas verstanden hätte, aber das Buch fiel mir in die Hände und ich fühlte intuitiv, dass es da noch etwas anders gibt.
Da war eine so große Sehnsucht, die nicht wusste an wen sie sich wenden sollte. Ich bin lange herumgeirrt, weil ich nicht wusste, dass eine wirkliche Heilung möglich ist.
Warum müssen wir überhaupt geheilt werden? Was stimmt nicht mit dem Leben?
An einem bestimmten Punkt kann das Leben wirklich furchtbar sein. Das
einzige, wonach wir uns wirklich sehnen, sind Liebe und Geborgenheit. Ich konnte sie in der Welt nicht finden. Ich habe alles dafür getan. Bis zur Selbstverleugnung. Ich habe mich verlassen. Ich
war verlassen. Und das alles nur, um Liebe zu kriegen – um sein zu dürfen. Auf diesem Wege habe ich die Liebe nicht gefunden.
Wenn wir nochmal auf die Unschuld zurückkommen, heißt das, dass der ganze Prozess einschließlich des
verlassen Werdens, des Wollens und des Anklagens dazu gehören. All das ändert nichts daran, dass wir essentiell unschuldig sind?
(Lacht) So ist es, ja. Du bist unschuldig. Und wenn du erkennst, dass du unschuldig
bist, brauchst du das, was in dir abläuft, nicht mehr zu verurteilen. Du brauchst niemanden mehr zu beschuldigen. Du brauchst niemandem mehr die stellvertretende Verantwortung oder Schuld für
deine Gefühle und Empfindungen zu geben. Wenn das alles aufhört, kommst du nach Hause.
In der Bibel steht sinngemäß: „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ Aber der, der ohne Schuld
ist, würde ihn ja niemals werfen …
Ja. Und die, die
Schuld auf sich geladen haben, haben in diesem Augenblick die Möglichkeit zu verstehen.
Und doch hat der Mensch keine andere Chance, als sich erst einmal schuldig zu
machen?
Aber das hat nichts mit der Schuld zu tun,
die die Kirche über uns ausgeschüttet hat. Und es ist natürlich auch keine juristische Schuld – kein Verbrechen. Die Schuld gehört zum Erkenntnisprozess ganz einfach dazu. Schuld und Unschuld
sind unpersönliche Zustände.
Die Unschuld weist auf das vollkommene Verbundensein hin. Und die Schuld auf das Gegenteil, auf vollkommene Trennung. Das Wesen der Unschuld manifestiert sich im Bild des Kindes. Das Kind muss
durch den Prozess der Schuld hindurch, um zu erkennen, dass es wirklich unschuldig ist.
Schuld ist also eigentlich etwas ganz anderes als das, was wir darunter
verstehen?
Ja. Wenn wir uns getrennt fühlen, können wir
alles tun. So ist das, was Sünde genannt wird – und uns zu „Sündern“ gemacht hat, entstanden. Statt alles ganz zu uns zu nehmen, spalten wir es von uns ab und werden so zu Büßern … Ein Büßer muss
sich nicht von Grund auf wandeln. Ihm – und der Kirche scheinbar auch – reicht es, für seine schlechten Taten zu büßen. Jemand der allzu gerne im Beichtstuhl kniet und die von außen auferlegte
Buße zum Zeichen seines Glaubens eifrig akzeptiert, braucht keine Einsicht. Alles muss inwendig passieren und zurück nach Hause geholt werden. Nehmen wir an, dass ich fehlgehandelt habe, dann
erkenne ich das jetzt – und umarme es. Ich nehme es ganz in die Umarmung. Alles. Dadurch findet die Erlösung und Wandlung statt. Nur dadurch.
Wenn du alles zurückgeholt und ganz umarmt hast dann …
… bleibt nichts mehr übrig.